Eine Geschichte vom Wechsel(n)

Unser Coachee Holger Bauer hat nach Jahren in der Industrie den Quer­ein­stieg in den Non-Profit-Sektor geschafft und ist aus einem großen Unter­neh­men in eine kleine gemeinnützige Organisation gewechselt. Wir haben ihn nach seinen Beweggründen für seinen Wechsel und nach seinen Erfahrungen im neuen „Job mit Sinn“ gefragt.

Lieber Holger, woher kam Dein Wunsch, Deinen Job  an den Nagel zu hängen und Dir einen „Job mit Sinn“ zu suchen?
Den Wunsch hatte ich schon relativ früh nach Abschluss meines Studiums. Aber erst nach 15 Jahren Industrie wurde er wieder lebendig. Angesichts der zahllosen gesellschaftlichen Herausforderungen habe ich mich zunehmend gefragt, welchen Beitrag ich eigentlich durch meinen berufliche Arbeit leiste, damit meine Kinder vielleicht in einer besseren Welt als heute leben und die großen globalen Krisen eher bewältigt werden. Ich habe mir sozusagen die berufliche „Sinnfrage“ gestellt: Worauf will ich zurückschauen, wenn ich einmal nicht mehr berufstätig bin? Im Laufe der Zeit hat sich dann für mich herausgeschält, dass ich mich gerne für Kinder und Jugendliche in einem gemeinnützigen Umfeld einsetzen möchte, und zwar idealerweise in einem internationalen Rahmen.

Wie lange hat der Umstieg bei Dir gedauert und was waren Deine „Meilensteine“ vom ersten Wechsel-Gedanken bis zum neuen Job?
Ich habe mir das gut drei Jahre hin- und herüberlegt, Vorteile und Nachteile abgewogen, mit Familie und Freunden gesprochen. Hilfreich in diesem Prozess war für mich ein Coaching, das ich vor der Entscheidung in Anspruch genommen habe. Als mein damaliger Arbeitgeber ein Abfindungsprogramm auflegte, war es soweit: ich habe mich quasi über Nacht entschieden, das Unternehmen ohne einen zukünftigen Job verlassen und mich gezielt neu orientiert.

Wie hast Du nach einem neuen Job im Nonprofit-Sektor gesucht? Was hat vielleicht besonders gut geklappt, was gar nicht?
Zuerst habe ich mir die Frage gestellt, welches Profil und welche Kompetenzen ich im Non-Profit-Sektor einbringen könnte. Auf dieser Basis habe ich im Netz und auf Veranstaltungen mögliche Jobs für mich recherchiert. Zudem habe den persönlichen Austausch mit Routiniers aus dem Sektor gesucht und deren Feedback eingeholt. Auf diese Weise konnte ich mir ein gutes Bild machen, wo es potenziell Nachfrage nach Menschen mit meinem bisherigen Werdegang gibt. Das Feedback war in der Regel positiv. Andererseits bin ich auch einem gewissen Unverständnis begegnet, wie ich denn einen gut bezahlten, sicheren Job als Führungskraft in einem großen Unternehmen zugunsten eines solchen Wagnisses aufgeben könnte. Ich hatte mir ein Zeitlimit von gut einem halben Jahr gesetzt, wie ich lange meinem Career Change in Richtung „Job mit Sinn“ eine Chance gebe, danach hätte ich mich wieder auf eine Position in einem Unternehmen beworben.

Was begeistert Dich an Deinem jetzigen Job?
Vieles. Zum Beispiel immer wieder großartige Menschen kennen lernen zu dürfen, die bereit sind, sich für andere in zum Teil sehr schwierigen Lebensumständen mit voller Power und aus ganzem Herzen einzusetzen. Die ihre berufliche Aufgabe auch als Teil einer größeren sozialen „Mission“ verstehen. Auf Projektreisen etwa in Afrika darf ich dann unmittelbar erleben, dass unsere Arbeit wirklich einen positiven Unterschied für das Leben benachteiligter Kinder und Jugendliche bedeutet.

Gibt es Dinge, die Dich zu Beginn in dieser für Dich neuen Arbeitswelt irritiert haben? Also Momente des „Kulturschocks“?
Ich bin aus einem großen Unternehmen in eine kleine gemeinnützige Organisation gewechselt. In meinem alten Job war vieles stärker geregelt und arbeitsteilig organisiert. Die Unternehmensleitung machte eindeutige Vorgaben, die es zu erfüllen galt. Bei meinem neuen Arbeitgeber herrscht eine eher informelle, hands-on Kultur, auch weil jede/r ein relativ breites Aufgabenspektrum hat. Zwischen vielen Kolleg*innen besteht große Nähe und ein persönliches Vertrauensverhältnis. Klassische Hierarchien, wie in der Industrie, stehen weniger im Vordergrund, dafür der Wunsch, bei wichtigen Entscheidungen beteiligt zu werden Die Mitarbeiterschaft ist intrinsisch motiviert, es gibt intensive Diskussionen um die Werte der Organisation und ihre strategische Ausrichtung. Eine solche Organisationskultur erfordert einen intensiven Abstimmungsprozess untereinander. Erst als ich dort war, habe ich im Kontrast dazu meine frühere Arbeitskultur richtig spüren können. Und es hat zu meiner eigenen Überraschung eine Weile gebraucht, bis ich kulturell so richtig dort „angekommen“ bin.

Welche Kompetenzen aus der „alten“ Arbeitswelt haben Dir in der Rückschau besonders geholfen, den Umstieg zu schaffen?
In meinem früheren Berufsleben habe ich in einigen größeren Veränderungsprojekten des Vorstandes mitgearbeitet, oft begleitet von renommierten Beratungsunternehmen. Diese hochgradig intensive, flexible und schnelle Projektarbeit in oft interdisziplinären Teams hat mir gezeigt, wie man komplexe Aufgaben strukturiert und ergebnisorientiert bewältigen kann. Das hat mir sicherlich geholfen, als ich mich beim Wechsel in mein neues Umfeld eingearbeitet habe und in der Anfangszeit mit zugegeben zahlreichen fachlichen Lücken umzugehen lernen musste.

Was würdest Du anderen Umsteiger*innen mit auf den Weg geben?
Das wichtigste ist meines Erachtens sich darüber klar zu werden, was man selbst wirklich beruflich will und kann – und was dafür bereit ist aufzugeben, falls man aus dem Profit-Sektor wechseln möchte. Der Reiz der Arbeit im Non Profit Sektor ist eher immateriell, also braucht es eine starke intrinsische Motivation, die einen durch die Aufs und Abs eines jeden Berufslebens trägt. Meine Empfehlung wäre sich vorab ehrenamtlich in dem Bereich zu engagieren, in dem man später tätig werden möchte. So lernt man Themen, Menschen und Kultur der Branche und ihre Organisationen kennen und sieht, ob es wirklich für einen persönlich passt oder nicht. Gleichzeitig identifiziert man so mögliche Arbeitgeber oder entwickelt vielleicht Ideen für eigene Initiativen. Mir haben Gespräche mit erfahrenen Branchenvertretern bei der Orientierung geholfen, das würde ich in jedem Fall anraten.