Virtuelles Recruiting: Die Corona-Krise und die Herausforderungen – Erfahrungen und Tipps aus der Praxis

Es kam plötzlich: Der Lockdown mit seinen Einschränkungen des öffentlichen Lebens zur Eindämmung der Covid-19-Pandemie. Er traf weite Teile des Lebens unvorbereitet. So auch das Recruiting. Auf einmal stellten sich Fragen wie: Macht es Sinn, während des Lockdowns überhaupt neues Personal einzustellen? Sollen bereits laufende Bewerbungsverfahren weitergeführt werden bzw. sollen neue Stellen überhaupt ausgeschrieben werden? Halten sich Bewerber*innen in diesen Zeiten nicht eher zurück und wollen das Risiko eines Stellenwechsels nicht eingehen? Wie kann ein Onboarding-Prozess für eine neue Person eigentlich aussehen, wenn alle im Homeoffice arbeiten (müssen)? Auch wenn die Pandemie und ihre Folgen noch lange nicht überwunden sind, hat die Praxis bereits erste Antworten auf einige dieser Fragen gegeben. Autorin des Artikel ist unsere Kollegin Kerstin Wöller.

  • Neueinstellungen während des Lockdowns?

Die Studie „Recruiting in der Corona-Phase“ des von index research  stellt fest, dass viele Unternehmen trotz der Pandemie weiter einstellen. Ca. 70% der Unternehmen in den Branchen Gesundheit/Soziale Dienste, Öffentlicher Dienst, Baugewerbe und Handwerk, IT und Internet haben zwischen dem Lockdown und Ende Mai neues Personal eingestellt.

  • Bewerben sich während Pandemie-Zeiten weniger Personen?

Laut einer Blitzumfrage des Institute for Competitive Recruiting Anfang März mit mehr als 500 teilnehmenden Arbeitgebern aus dem deutschsprachigen Raum hat die Mehrheit der Arbeitgeber einen Rückgang im Bewerbungseingang festgestellt.

Allerdings können wir von Talents4Good diesen Trend für den Bereich des Dritten Sektors nicht bestätigen. Wir verzeichnen bis heute (Ende Juni 2020) für fast alle Positionen einen stärkeren Bewerbungseingang. Gründe sehen wir in folgenden Punkten:

  • Aufgrund von Entlassungen und Kurzarbeit gibt es derzeit wieder mehr gut ausgebildete Fachkräfte auf dem Arbeitsmarkt
  • Viele Menschen (z.B. in Kurzarbeit) haben gerade mehr Zeit, sich mit Bewerbungen zu beschäftigen
  • Viele Menschen nehmen die derzeitige Krise als Anlass für persönliche Veränderungen
  • Viele freiberuflich tätige Menschen bemühen sich derzeit um eine feste Position
  • Sollen bereits laufende Bewerbungsverfahren bei einem (möglichen weiteren) Lockdown fortgeführt werden?
    • Wenn die ausgeschriebene Stelle weiterhin finanzierbar ist, steht einer Fortführung des Auswahlverfahrens wenig im Weg.
    • Sollten Sie ein Auswahlverfahren unterbrechen oder verlangsamen, informieren Sie die Bewerber*innen während des Bewerbungsprozesses zeitnah (!) über den Umgang mit der aktuellen Situation in Ihrem Unternehmen. Das schafft Authentizität! Legen Sie unbedingt einen Talent-Pool an, um auch später noch auf spannende Bewerbungen zurückgreifen zu können (Achtung: DSGVO-konformes Bewerbermanagement beachten!).
  • Online-Auswahlverfahren – können durch diese ausreichend gute Eindrücke von den Kandidat*innen entstehen?
    • Grundsätzlich: Haben Sie im Blick, dass Unternehmen, die digitale Recruiting-Lösungen nutzen, von Kandidat*innen als attraktiver und moderner Arbeitgeber wahrgenommen werden!
    • Führen Sie vorab kurze Telefoninterviews. In diesen Gesprächen können Sie sich einen ersten Eindruck über die Fähigkeiten und Motivation der Bewerber*innen verschaffen und damit bereits schon viel früher im Prozess erkennen, ob ein*e Bewerber*in zum Unternehmen passt oder nicht. Wählen Sie danach aus, mit wem Sie vertieft ins Gespräch gehen wollen und verschlanken Sie damit Ihre Vorauswahl.
    • Stellen Sie Ihre Bewerbungsgespräche auf Videokonferenz um (Datenschutz beachten). Trotz Bildschirm können Sie in Bewerbungsgesprächen per Videokonferenz einen sehr guten Eindruck bekommen, ob ein*e Bewerber*in zu Ihnen passt! Und Ihnen wird klarer, mit wem Sie ggf. vor der finalen Entscheidung nochmal ins weitere Gespräch gehen möchten.
  • Wie können Aufgaben und Team-Teile ohne persönliche Vorstellungsgespräche gut abgebildet werden?
    • Aufgaben lassen sich auch per Videokonferenz gut abbilden! Diese können Sie z.B. im Vorfeld des Gesprächs per E-Mail an die Kandidat*innen verschicken, so dass die Ergebnisse während des Gesprächs präsentiert werden können.
    • Auch das Kennenlernen des Teams lässt sich per Videokonferenz abbilden. Treffen Sie dafür im Vorfeld eine gute Auswahl unter den Teammitgliedern und legen Sie unbedingt Rollen fest, so dass Sie strukturiert ins Gespräch gehen können und keine unangenehmen Pausen/Leerlauf entsteht, die online weniger gut abgefangen werden können.
  • Lassen sich gute Personalentscheidungen ohne eine einzige persönliche Begegnung treffen?
    • Durch telefonische Interviews vorab, Vorstellungsgespräche per Videokonferenz, ggf. präsentierte Aufgaben und das Kennenlernen des Teams lassen sich aus unserer Erfahrung ausreichend gute Eindrücke sammeln, um gute und solide Personalentscheidungen treffen zu können! Sollten Ihnen eine persönliche Begegnung trotz Kontaktbeschränkungen wichtig sein: Finden Sie kreative Wege für ein persönliches Kennenlernen vor der finalen Entscheidung! Z.B. ein Spaziergang im Park, ein Treffen im Konferenzraum mit genügend Abstand unter Einhaltung der Hygieneregeln etc…
    • Wenn Sie eine finale Entscheidung erst später treffen können, informieren Sie Ihre Favorit*innen regelmäßig (!) und vermeiden Sie so, dass Ihr*e Wunschkandidat*in abspringt. Bitten Sie im Gegenzug auch darum, dass Ihr*e Wunschkandidat*in sich bei Ihnen meldet, sollte er/sie selbst eine Entscheidung treffen müssen!
  • Funktioniert digitales Onboarding?
    • Laut der Blitzumfrage des Instituts for Competitive Recruiting wussten Mitte März 2020 41% der Unternehmen noch nicht, wie sie ihr Onboarding digital darstellen sollten. 36% hatten aber bereits Wege für ihr digitales Onboarding gefunden!
    • Wir haben selbst erste Erfahrungen im digitalen Onboarding gemacht und dabei wertvolle Erfahrungen gesammelt. Lassen Sie sich dazu von unserem Blogbeitrag inspirieren.

Einige der oben gestellten Fragen werden uns aufgrund der Covid-19-Pandemie noch einige Zeit begleiten. Klar ist aber auch: Manche Erfahrungen können Sie über Pandemie-Zeiten hinweg in Ihre Recruiting-Aktivitäten integrieren. Nicht nur, weil sie den Rekrutierungs-Prozess effizienter gestalten können, sondern auch, weil Sie durch digitales Recruiting Ihre Attraktivität für Bewerber*innen erhöhen!